Der arme Junge, der unbedingt reich werden wollte
Ich möchte Immaculate Mirambo und Leonard Boniface Magumba für Ihre Hilfe bei der Erforschung dieser Geschichte danken.
Es lebte einmal ein kleiner Junge im Sukumaland, der Sonda hieß, das heißt soviel wie "Stern" oder "Glück". Er fristete seit vielen Jahren ein ärmliches Dasein fern von der Heimat als Kuhhirt bei einem wohlhabenden Mann, der eine riesige Rinderherde besaß. Sonda dachte Tag und Nacht darüber nach, wie er es anstellen könnte, als reicher Mann zu seiner Mutter heimzukehren, um nicht länger die Beschimpfungen und Schläge seines Herrn erdulden zu müssen. Einmal fragte Sonda seinen Herrn, "Was muss ich machen, um ebenso reich zu werden wie du?"
Der Mann lachte nur und sagte: "Man wird reich indem man tauscht - das Wertvollere gegen das weniger Wertvolle. Ideen muss man haben, und dazu eine Portion Mut und Frechheit besitzen. Aber du wirst es niemals schaffen, kleiner Junge. Du bist viel zu dumm und besitzt außerdem weder Mut noch Frechheit."
"Doch", sagte Sonda. "Und bald besitze ich zweimal so viele Rinder wie du!" Und er beschloss dann und dort, in die weite Welt zu ziehen und nicht eher zurückzukehren, bis er zweimal so reich war wie sein Herr.
Er machte sich auf den Weg. Kaum war er aber zehn Schritte gegangen, als er stehen blieb und sich fragte: "Was kann ich tauschen? Ich kann nicht meinen Umhang tauschen, denn sonst werde ich in der Nacht frieren. Ich kann auch nicht meinen Rinderstab tauschen, weil ich mich dann nicht vor den wilden Tieren schützen kann. Und mehr habe ich nicht!" Sonda schaute sich um und entdecke eine Heuschrecke, die sich auf einem Grashalm sonnte. Er fing sie und hielt sie in seiner Faust. Dann machte er sich wieder auf den Weg.
Abends kam Sonda in ein Dorf, wo er die Menschen um Unterkunft bat. Man zeigte ihm einen Hühnerstall, wo er die Nacht verbringen konnte. "Darf ich meine liebe Heuschrecke hier auf einem Balken schlafen lassen?", fragte er die Menschen? Ja, das durfte er. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war die Heuschrecke verschwunden. Eines der Hühner hatte sie aufgefressen! Sonda fing nun zu jammern und zu schreien an, bis der Besitzer des Hühnerstalls ihm ein Huhn scheckte, damit er endlich aufhörte.
Mit dem Huhn unterm Arm ging Sonda weiter. Abends kam er wieder in ein Dorf, wo er die Menschen wieder um Unterkunft bat. Man wies ihm eine Hütte zu und gab ihm zu essen und zu trinken. Neben der Hütte war eine kleines Gehege, wo Ziegen gehalten wurden. "Darf ich mein liebes Huhn im Gehege schlafen lassen?", fragte er die Menschen. Ja, das durfte er. Aber als er am nächsten Morgen aufwachte, fand er sein Huhn leblos im Schlamm liegen. Die Ziegen hatten es totgetrampelt! Sonda fing nun zu jammern und zu schreien an, bis der Besitzer der Ziegen ihm eine Ziege schenkte, damit er endlich aufhörte.
Mit der Ziege am Strick ging Sonda weiter. Abends kam er wieder in ein Dorf, wo er die Menschen wieder um Unterkunft bat. Man wies ihm eine Hütte zu und gab ihm zu essen und zu trinken. Neben der Hütte war ein Kral (ein umzäunter Viehhof), wo Rinder gehalten wurden. "Darf ich meine liebe Ziege im Kral schlafen lassen?", fragte er die Menschen. Ja, das durfte er. Aber als er am nächsten Morgen aufwachte, fand er seine Ziege leblos im Schlamm liegen. Die Rinder waren in der Nacht unruhig geworden und hatten in ihrer Aufregung die Ziege totgetrampelt! Sonda fing nun zu jammern und zu schreien an, bis der Besitzer der Rinder ihm ein Rind schenkte, damit er endlich aufhörte.
Nun ging Sonda weiter, hinter seinem neuen Rind her, und schwang seinen Rinderstab. Abends kam er in eine Gegend, wo die Masai ihre Rinder weideten. Tausende von Rindern mit samtigen braunen Fellen und langen weißen Hörnern füllten das Flachland bis zum Horizont. Als der Junge sein Rind durch die Gegend trieb, kam er an ein kleines Wäldchen. Und dort bekam er eine Idee. Zunächst versteckte er das Rind im Wäldchen. Dann nahm er ein Messer und schnitt dem Rind den Schwanz ab. Darauf pflanzte er ein Ende des Schwanzes in die Erde und ging zum großen Versammlungsort der Masais. Viele Hunderte reiche Masai-Rinderbesitzer saßen im Kreis und berieten sich. Sonda trat in ihren Kreis und fing an zu jammern und zu schreien. "Die Erde verschluckt mein Rind!", schrie er. "Ihr müsst mir helfen, meinen Besitz wieder zu bekommen!"
Die Masai folgten Sonda zu der Stelle, wo der Schwanz des Rindes aus der Erde guckte. Sonda zog und zog an dem Schwanz, aber er konnte das Rind nicht aus der Erde ziehen. Der stärkste der Masai-Krieger trat auf und nahm den Schwanz in seine schwieligen Hände. Er zog und - ZACK! - der Schwanz sprang aus der Erde! Nun fing Sonda schon wieder an zu jammern und zu schreien, da sein Rind nun wohl endgültig von der Erde verschluckt worden war und er nun mittellos dastand. "Es ist eure Schuld, denn das ist doch euer Weidegebiet!", warf er ihnen vor. Nun legten die Masai ihre Köpfe zusammen, während Sonda immer lauter schrie. Zum Schluss einigten sie sich darauf, dass jeder Rinderbesitzer im Umkreis dem Jungen ein Rind schenken sollte, damit er endlich aufhörte.
Nun wanderte Sonda zurück. Er hatte jetzt mehr als fünfhundert Rinder, zweimal soviele wie sein Herr, sowie Dutzende von Masai-Rinderhirten, die fortan in seinem Dienst standen. Mit diesem Gefolge wanderte er viele Tage und Nächte, bis er in sein Heimatdorf kam. Seine Mutter nahm ihn in ihre Arme und die Menschen im Dorf feierten ihn wie einen Helden. Noch nie hatten sie einen so reichen Mann gesehen!