Hausmeister Mang erzählt
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1. Abgeküsst
„Mit der Eitelkeit isch es so eine Sacha“, erzählte mir einmal Herr Mang. Wir saßen wie gewohnt am Schreibtisch seines verkramten Hausmeisterbüros im hinteren Flügel der Dr.-Georg-Hinzpeter-Schule und tranken gezuckerten Tee aus seiner Thermosflasche.
Ich fragte ihn, was er damit meinte.
„Es braucht nur ein einziger, sich für ebbes Besonderes zu halta, und schon machen älle mit. Und dann gibt’s koine Hilfe mehr. Es ist gnau so, wie wenn in der Jauchegrube draußen ein Riss entsteht.“ Seine Augen streiften über die Wiese hinter der Schule, wo die Jauchegrube unter dem Rasen verborgen lag. „Es fängt nur mit einem Tropfen an, ond bevor man woiß, was mit einem geschieht, steht scho das ganze Schulgelände unter Wasser. Und was für ein Wasser! Glauben Sie mir, i woiß, wovon i rede.“ Er nippte an seinem Tee und zwinkerte mir zu. „Da muaß man hart durchgreifa.“
Herr Mang sprach heute nicht zum ersten Mal von seiner Jauchegrube, wo alle Abwässer von der Schule gesammelt wurden und wo es immer wieder zu Verstopfungen kam, sodass er regelmäßig selber Hand anlegen musste. In der Ecke, neben dem Fenster, standen seine hohen Gummistiefel und seine Schaufel auf einer alten Zeitung und verbreiteten einen ziemlich scharfen Duft.
Aber man kann doch die Eitelkeit nicht mit Ihrer Jauchegrube vergleichen, wandte ich ein.
„Gehupft wie gesprunga“, sagte Herr Mang. „Wie hier bei uns in der Schule. Vor einiger Zeit hatte Lara Häberle aus der siebten Klasse ihren ersten Schminkkasta zu Weihnachta bekomma. Das war ein siese Mädele! Natürlich wollte sie den Lippenstift ausprobiera, und sie tat es jeden Morgen im Mädele-Abdridd im Erdgeschoss.“
Sie meinen, in der Mädchentoilette?, fragte ich.
„Gnau“, sagte er. „Bloßes Glopapier war ihr ned fein genug, und so dachte sie sich eine ganz gscheite Methode aus, um den extra Lippenstift von ihrem Gosch zu wischa: sie küsste den Spiegel und hinterließ dabei einen großen Knutschfleck auf dem Glas.“
Wie originell! sagte ich.
„Scho, das dachten die anderen Mädele auch, und innerhalb von nur drei Tagen hatten alle Mädele von der vierta Klasse aufwärts ned nur einen Lippenstift in der Tasche, sondern auch einen roten Knutschfleck auf dem Toilettenspiegel. I frage Sie, Herr Lloyd, haben Sie jemals versucht, Lippenstift von einem Spiegel zu wischa?“
Ich musste die Frage verneinen.
Herr Mang schnaufte. „Als ob i ned Besseres zu tun hätte, als auch no Knutschflecke abzurubbla. I sag Ihna, desch war zom Grodda kotza! Wo i früher die Mädchentoilette in nur fünfzehn Minuten abhaka konnte, brauchte i nun eine halbe Stunde dafür.“
Konnten Sie nicht freundlich auf die Mädchen einreden?, fragte ich.
„Heilix Blechle, und ob i das versucht habe!“, erwiderte Herr Mang. „Zunächst sprach i das eine oder andere Mädele ganz liab an, dann habe i Zettel beschrieba und auf die Spiegel selbst geklebt. ‚Kussa verbota!’, stand drauf, und i glaub, die Mädele haben es als einen Witz gseha. Nôi, das Gekusse nahm ned ab, im Gegateil. Sie finga sogar an, die Zettel abzukussa. Bald konnte man vor lauter Knutschflecke sein eigenes Spiegelbild gar ned mehr seha.“
Aber sicherlich war das den Mädchen selber unangenehm, wandte ich ein. Sie hätten doch ein paar Tage lang die Spiegel nicht reinigen können, und schon hätten die jungen Damen eingesehen, dass ein mit Lippenstift beschmierter Spiegel auf Dauer doch nicht so lustig ist.
„Sehen Sie, Herr Lloyd, grad das hätt i ned tun könna.“ Herr Mang hob den Zeigefinger. „Erstens hätte es mein eigenes Gfühl von Ordnung verletzt, und was ist schließlich Ordnung, wenn ned das halbe Leben? Ond zwoitens, was hätten die junga Leute wirklich dabei gelernt? Nôi, i bin für permanentere Lösungen.
Eines Tages hatte i eine Idee, wie i die Sacha für alle Zeiten aus der Welt schaffa konnte“, fuhr Herr Mang fort. „I schwätzte mit dem Herrn Dinkelacker, unserem Schuldirektor, und nach einigem Zureden war er einverstanda. Am nächsten Tag ließ er durch den Schullautsprecher verkünda, dass alle Mädele der sechsten und der siebten Klasse sich nach der Schule in der Mädchentoilette im Erdgeschoss einzufinda hatten.“
Er nahm wieder einen Zug aus seiner Teetasse und kippte das grüne Cordhütchen auf seinem Kopf ein Stückchen nach vorne, sodass er seine Augen fast bedeckte. „Als sich die Mädele mit ihren kirschrota Lippen alle versammelt hatten, trat i hinzu und zeigte auf den Spiegel. ‚Habt ihr eine Ahnung, wie i schaffa muss, um diesen Spiegel zu reiniga?’, hab i sie gefragt. Die Mädchen kicherten nur und schauten schon auf ihre Armbanduhra. I sag Ihna, sie konnten kaum darauf warten, dass i meinen Gosch halte, damit sie wieder die Spiegel kussa konnten!
‚Na gut’, sagt i zu den Kleinen, ‚i zeig euch wie das geht’.“ Nun saß Herr Mang wieder aufrecht und fixierte mich mit seinen dunkelbraunen Augen. „I nahm meinen Schwamm, tauchte ihn tief in eins der Globecken und quetschte ihn wieder aus. Die Mädele wurden ganz still und bloich, als sie sahen, wie das ôdla Glowasser wieder durch die Brille rieselte. ‚Und nun guggt gut zu’, sagt i ond fing an, den ersten Spiegel mit dem Gloschwamm zu schrubba. Heilandzagg! Eins der Mädele, die Emma Gösslin aus Pfullinga, gippte fast um. Die anderen Mädele wurden komisch bleich im Gesicht, als i den ersten Knutschfleck bearbeitete. ‚Und wenn sie richtig klebrig sind’, sagt i weiter, ‚muss i zu harte Bandagen greifa!’, und nun hielt i die Globürste hoch. ‚Wollen Sie es nun probiera, Fräulein Häberle?’
Das reichte aber scho“, sagte Herr Mang. „Lara Häberle rannte aus der Toilette, die anderen Mädele hinterher, als ob gerade einen Stinkbombe durch das Fenster gefloga wär, und i konnte in aller Ruhe einen sauberen Schwamm und eine Flasche Glasputzmittel zur Hand nehma und die restlichen Knutschflecke wegmacha.“
Nun lehnte sich Herr Mang zurück. „Desch war vor fünf Jahra. Seit diesem Tag habe i nie wieder einen Knutschfleck auf einem Spiegel gseha. Wenn i mi richtig überlege, hat’s ned mal einen Lippenstift in der Schule geba. Solche Dinge sprechen sich nämlich herum.“ Er hob seine Thermoskanne wieder auf. „Drengad Se noch a Tässle midd?“
Wenigstens haben Sie jetzt die Mädchen im Griff, sagte ich, während er Tee nachschenkte. Die Jungs sind bestimmt ein Thema für sich.
„Du wirsch domm gugga!“, rief Herr Mang. „Mit den Burschen hatte i auch einmal meine liebe Not. Damals liefen sie jeden Tag über mein schönes Blumenbeet, um zur Turnhalle zu gelanga. Sie haben dabei ned nur das Blumenbeet selbst ruiniert, sondern den Schlamm in die Turnhalle auf ihren Schuhen mitgschleppt. Eine Sauerei, sag i Ihna! Sie selber fanda das natürlich ganz lustig.“
Ich nehme an, Sie hatten auch ein Mittel gegen die Jungs gefunden?, fragte ich.
„Ideen muss man haba“, sagte Herr Mang, „und die Sacha mit den Spiegeln brachte mi auf eine neue. Jedenfalls haben die Burschen von einem Tag auf den anderen damit aufghört, als i ihna sagte, woher i den Dünger für das Blumenbeet her habe.“ Und seine Augen wanderten wieder zur Jauchegrube auf der Wiese hinter der Schule.
Ich glaubte ihm aufs Wort.